Auf die Rente zurasseln

Lothar von der Heyde ist ein Urgestein der PLSW

Er rasselt so langsam auf die Rente zu. Wenn er 50 Jahre bei der PLSW gearbeitet hat – dann will er Schluss machen mit der Arbeit. Das kommt schon bald auf ihn zu: In 2021 würde Lothar von der Heyde auf ein so langes Berufsleben bei der PLSW zurückblicken, wie kaum sonst jemand.

Die PLSW, die damals PGB hieß, steckte noch in den Kinderschuhen, als Lothar von der Heyde dort seine Arbeit aufnahm. 16 Jahre alt war er damals, hatte zwar einen Schulabschluss in der Tasche, aber wegen seiner Beeinträchtigungen kaum eine Chance, irgendwo eine Arbeit zu bekommen. „Damals änderte sich ganz viel“, erinnert sich seine Schwester Marion von der Heyde. Für Menschen mit Beeinträchtigungen sollten Konzepte entwickelt werden – die Folge daraus waren die ersten Werkstätten.


Beschützende Werkstätten waren der Anfang

„Beschützend“ – das war das vorrangige Ziel dieser Einrichtungen. „Von Inklusion wusste damals niemand etwas“, sagt sie. Ein Ort, an dem ihr Bruder beschützt wird und gut aufgehoben ist, klang für die ganze Familie aber gut. So nahm Lothar von der Heyde 1971 seine Arbeit in einer dieser ersten Werkstätten in Hameln auf.

In den folgenden Jahrzehnten – und jetzt immer noch – arbeitete er in erster Linie in Anmeldung und Zentrale. „Mein Bruder ist ein Meister der Zahlen“, erzählt Marion von der Heyde lächelnd. Nach Telefonnummern könne man ihn immer fragen – die habe er alle im Kopf. Das war also der passgenaue Platz für ihn.

Die ersten Werkstätten seien noch nahezu Baracken gewesen, erinnert sich Lothar von der Heyde. Nach und nach sei aber alles immer besser geworden. „Und jetzt haben sie allen Schnick und Schnack!“ Anfangs arbeitete seine Mutter noch als Betreuerin in der Werkstatt mit. „Es gab damals doch kaum Heilerziehungspfleger!“, sagt Marion von der Heyde. Woraufhin Menschen aus vielen Berufsgruppen eingestellt wurden als Betreuer in den Werkstätten. Lothar von der Heydes Mutter war durch ihre Familie geradezu prädestiniert für diesen Beruf. Dem jungen, noch nicht einmal volljährigen Mann gefiel es gut, seine Mutter auch während der Arbeit um sich zu haben.

Ebenso gefielen ihm die Freizeiten, die von der Werkstatt angeboten wurden. Mit großer Mannschaft machten sie etwa Urlaub im ostfriesischen Timmel. In einem Foto-Album aus jenen Jahren füllen Urlaubsfotos etliche Seiten.

Lothar von der Heydes Arbeitsplätze waren sich immer ähnlich, auch wenn er in unterschiedlichen Werkstätten beschäftigt war. Erst in Hameln, dann in Rohrsen, in Afferde und zuletzt wieder in Hameln. Mittlerweile geht er nur noch an drei Tagen pro Woche zur Arbeit. Auf seine Rente freut er sich. Einerseits. Andererseits wird ihm dann aber auch etwas fehlen.

Bei der PLSW wird er aber dennoch bleiben, auch wenn er seine 50 Jahre bald voll hat. Denn er arbeitet dort nicht nur, sondern lebt auch seit mehr als 40 Jahren in Wohnhäusern des Unternehmens.


Wohin mit den Brüdern?

23 Jahre alt war er, als seine Mutter plötzlich starb. Nun stand seine Schwester vor einer schweren Entscheidung: Wohin sollten Lothar und ihr ebenfalls beeinträchtigter Bruder Eckard nun gehen? Sie, als das älteste Kind der Familie, war schon lange ausgezogen und zu sich nach Hause konnte sie ihre Brüder nicht nehmen. Aber es gab doch auch die Wohnheime der PGB.

So kam Lothar von der Heyde 1978 in ein Wohnheim in Lauenstein, einem kleinen Ortsteil der Gemeinde Salzhemmendorf. Mit dem Bus von Lauenstein nach Hameln zur Arbeit zu kommen, sei in den ersten Jahren eine Katastrophe gewesen, erzählt er. Lauenstein selbst hatte auch nicht viel zu bieten. Ausflüge, Shopping-Touren und ähnliche Dinge wurden von den Betreuern zwar angeboten – aber nur mit vielen Leuten gemeinsam konnten sie auf Tour sein.
Anfangs lebte er in einem Vier-Bett-Zimmer, später wurde daraus ein Zimmer für zwei. Und irgendwann hatte er ein Zimmer für sich allein – auch wenn es noch so klein war. Das war wichtig für Lothar von der Heyde, denn so gesellig er auch ist, so gerne er unter Leute kommt, hat er es doch gerne, auch einmal für sich sein zu können.

So wandelten sich nach und nach seine Lebensumstände: Rein äußerlich mit der immer besseren Ausstattung der Werkstätten – anfangs gab es dort noch nicht einmal behindertengerechte Toiletten – und der komfortableren Wohnsituation. Aber auch in der Betreuung und Begleitung wandelte sich manches.

„Beschützend“, wie es zu Beginn angedacht war, ist schon lange nicht mehr der vorrangige Ansatz. Integration und Inklusion sind die Stichworte, die auch in seinem Lebensumfeld vieles verändert haben – und für die er oft bereit war, sich einzubringen. Wie etwa in den Jahren, in denen er im Werkstattrat mitwirkte oder aktuell mit seiner Beteiligung in der „Inklu-AG“ der PLSW, in der manches für das Aktionsjahr 2020 zum 50-jährigen Bestehen des Unternehmens geplant wird.

Marion von der Heyde berichtet unterdessen einiges davon, wie sich nach ihrer Einschätzung die Einstellung zu Menschen mit Beeinträchtigungen in der Gesellschaft verändert hat. Es sei zwar noch lange nicht alles Gold, was glänze, aber solche Erlebnisse wie in den 1960er bis 1980er Jahren, in denen sie und ihre Familie sich oft anhören mussten, dass sie Schmarotzer seien, weil sie für die Brüder Sozialleistungen in Anspruch nahmen, gebe es kaum noch.

Es war aber nicht nur „die Gesellschaft“, die umdenken musste – auch sie selbst lernte dazu: „Das Bewusstsein auch bei mir, dass wir einen Anspruch auf Unterstützung haben, musste ich erst entwickeln. Und ich musste lernen, dass die Würde des Menschen unantastbar ist.“ Das hat sie gelernt. Manchmal schmerzhaft, aber immer fürsorglich für ihre Brüder, so dass sie sich heute nicht mehr scheut laut und deutlich zu sagen, was sie nicht richtig findet.


Lothar von der Heyde hat unterdessen seinen Wohnort 2013 noch einmal gewechselt und ist in das neue Wohnhaus der PLSW in Hamelns Ruthenstraße gezogen. Ein Zimmer hat er für sich allein, das auch nicht mehr klein ist wie zuvor, sondern ihm viel Raum bietet. Eine kleine Terrasse gehört dazu, die ihm den Blick auf die Weser eröffnet, die ruhig an den Häusern vorbeizieht. „Hier kommt man sich vor wie in einer Kurklinik“, sagt er grinsend.

Für ihn ist es eine gewaltige Verbesserung gegenüber dem Zimmer in Lauenstein. An seine neuen Mitbewohner im Haus hat er sich auch längst gewöhnt. Er habe schon einige Freundinnen, sagt er. In sein Zimmer kann er sich nun immer zurückziehen, wenn ihm danach ist. Dann widmet er sich gerne den Fußball-Statistiken, die er in erster Linie zu seinem Lieblings--Verein zusammenstellt: Hannover 96. Das war schon immer sein Favorit. Dem wird er sich „in Rente“ noch mehr widmen können. Erst recht dann, wenn er sein Vorhaben wahrmacht, sich mit dem Arbeiten am Computer vertraut zu machen.

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