Ein Aktenordner voller Erinnerungen

42 Jahre alt ist Christian Kuppe mittlerweile, kam – als viertes Kind in der Familie – mit dem Down Syndrom auf die Welt und arbeitet in der Lothar-Wittko Werkstatt der Paritätischen Lebenshilfe Schaumburg-Weserbergland GmbH (PLSW) in Stadthagen. Sich um ihren Sohn kümmern und ihn fördern war das eine, was seine Mutter Monika Kuppe in diesen vier Jahrzehnten getan hat. Gleichzeitig hat sie sich aber auch in der Paritätischen Lebenshilfe Schaumburg-Weserbergland GmbH (PLSW) engagiert. Die Ausflugsfahrten, die sie gemeinsam mit Ilse Rösemeier viermal jährlich für Menschen mit Beeinträchtigungen und deren Eltern organisiert hat, sind vielen noch heute in bester Erinnerung.


Einen vollgestopften Aktenordner hat Monika Kuppe zum Interview mitgebracht. Darin hat sie gesammelt, was sie und Ilse Rösemeier von 1986 bis 2014 organisierten, um nicht nur ihren Söhnen und sich selbst, sondern auch anderen Menschen, die von der PLSW begleitet werden, wie auch deren Eltern schöne Tage zu bescheren. Mehr als 100 Ausflüge haben sie in diesen Jahren angeboten, haben immer einen Reisebus voll bekommen und mussten manchmal sogar einen zweiten Bus hinzubuchen. „Dabei hat man sich so richtig kennengelernt“, sagt sie. Der Kontakt zu den Menschen, mit denen Christian tagtäglich zusammen war, und auch zu deren Eltern wollten sie pflegen und ausbauen.

Akribisch und liebevoll haben Monika Kuppe und Ilse Rösemeier jede ihrer Fahrten durchgeführt. Waren Rollstuhlfahrer dabei, mussten sie für genügend helfende Hände sorgen, die schieben und anpacken konnten, wenn die Wege nicht allzu komfortabel waren oder Stufen zum Hindernis wurden. Busse bestellen, mit den Wirten Preise aushandeln, Ziele finden, die allen gefallen, Wanderungen planen, bei denen jede Beeinträchtigung Berücksichtigung findet, und bei allem noch den Preis im Auge behalten, der niemals hoch sein durfte – das war bereits viel Arbeit im Vorfeld.

Die Fahrten selbst sind dann die nächste Herausforderung gewesen. „Am glücklichsten waren wir, wenn der Bus wieder hier auf dem Hof war und alle ausgestiegen sind“, sagt Monika Kuppe lachend.


„Am glücklichsten waren wir, wenn alle ausgestiegen sind!“

Es sind immer alle wieder zurückgekommen – auch wenn sie sich an einen Ausflug in den Vogelpark Walsrode erinnert, bei dem einer der Teilnehmer auf Abwege von seiner Gruppe geriet, sich auf einer Bank im Sonnenschein seelenruhig niederließ und sich kein bisschen darum scherte, dass er womöglich mittlerweile als vermisst galt. Schließlich wurde er dort auf seiner Bank ausfindig gemacht – und kam wie alle anderen mit dem Bus wieder nach Hause.

Am Steinhuder Meer war ein Vater ein anderes Mal nicht davor gefeit, ins Wasser zu fallen. Und bei einem Ausflug in den Heide-Park bei Soltau wurden auf der Wasserrutsche derart viele aus der Gruppe so nass, dass sie die vom Heide-Park bereitgestellten Trockner nutzen mussten.

Ein beliebtes und oft angesteuertes Ziel war ein Ausflugslokal in Haste. Kaffee und Kuchen gab es dort. Ausgesprochen gerne wollten alle aber in erster Linie immer wieder dorthin, weil der Wirt seinen Namen zu Recht trug: Musik und Gesang gab es stets und ein Tänzchen der Ausflügler wurde oft zum Höhepunkt des Tages.

Die schönen Freizeitvergnügen sind das eine gewesen, weswegen Monika Kuppe die Arbeit auf sich genommen hat. Genauso wichtig war es ihr aber, den Austausch der Eltern untereinander zu fördern. Haben sie nicht alle ähnliche Erfahrungen gemacht? Konnten sie nicht alle voneinander profitieren? Die Gespräche setzen einige der Eltern in kleinem Rahmen fort, seit es die Ausflugsfahrten nicht mehr gibt. Regelmäßig treffen sich manche von ihnen immer noch zum „Kaffeekränzchen“, reden über ihre Kinder und auch über alles andere. Die Fahrten vermissen alle dennoch.

Monika Kuppe selbst hat sich allerdings nach 28 Jahren Organisation zu alt gefühlt, um diese Aufgaben weiter zu übernehmen. Ähnlich ging es Ilse Rösemeier, die mittlerweile 93 Jahre alt ist. Und andere Eltern, die sie unterstützen wollten, haben sie beide nicht gefunden. Dass sich das ändert, darauf hoffen sie sehr.


Das Interview mit Monika Kuppe haben Meike Schönbeck und Sara Hücker geführt.

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